The oldest Word - The first Number - The first Polygon
by Klaus-Anton, Oct 29, 2022, 11:10 AM
Karl Kraus. Auch Zwege werfen lange Schatten. (Seite 84) wrote:
Das älteste Wort sei fremd in der Nähe, neugeboren und manche Zweifel, ob es lebe. Dann lebt es. Man hört das Herz der Sprache klopfen.
Welches das erste Wort ist, das scheint mir eine nicht ganz so selten gestellte Frage zu sein. Ob auch eine häufig gestellte Frage? Vielleicht. Wie fängt die Sprache an? Wie kam es dazu, dass wir sprechen können, wir Menschen? Wie kommt der Mensch zur Sprache? Zurück in die Vergangenheit können wir nicht so gut blicken. Bei jedem neugeborenen Menschen können wir allerdings dann schon sehr bald den Spracherwerb mit erleben. Dieses Wunder, dieses ganz besondere Wunde und Wunderbare. Auch Vorgeburtliches können wir da auch schon noch mit einbeziehen. Doch da können wir genau genommen noch nicht so richtig von Sprache sprechen, sondern nur von Vorformen der Sprache.
Manchmal habe ich auf Hans-Georg Gadamer hingewiesen auf meinem Blog. Ich habe dir die persönliche Widmung gezeigt, die er mir aufgeschrieben hat. Er war 1991zu Gast in Göttingen gewesen. Nach seinem damaligen Vortrag "Die Kultur und das Wort" im Max-Planck.Institut für experimentelle Medizin. In dem Vortrag kam Gadamer zu dem Schluss: "Es gibt kein erstes Wort."
Kunst und Natur
für den Denker der
Freiheit. Kant.
HGGadamer
The Bridge of Words
"Dennoch liegt gerade hier das Problem." - Es ist eine Frage der Urteilskraft. (Hier findest du auch eine Kopie der Widmung von Gadamer an mich.)
Hm. Das angehauchte, aspirierte M. The letter em. Der Mund - Der ja auch mit M beginnt. - ist geschlossen. Die Luft wird durch die Nase herausgelassen, eine Modulation des Ausatmens. Die Stimme erklingt durch das Vibrieren der Stimmbänder. Es ist das Wohlbehagen, was nach oder vor dem Essen oder Trinken zum Ausdruck gebracht wird. Der Mund ist sehr entspannt und locker. Das (auch typografisch) sehr ähnliche N ist viel schwieriger. In den Sprachen, die ich kenne, fängt das Wort für Mutter immer mit dem Buchstaben M an. Dem M als einzelnem Buchstaben wird zur Vokalisierung das offene E vorangestellt. Typografisch erscheint das M wie ein Gebirge. Zwei Berge nebeneinander und dazwischen das Tal. Der Busen, die Mutterbrust.
Die Frage nach dem ersten Wort ist wie die Frage nach der ersten Zahl. Manche sagen, das Zählen fängt erst bei Zwei an. Weil - so das Argument: Ist man erst nur bei der Eins, dann zählt man ja noch nicht. (Mathematiker und heutzutage insbesondere auch Informatiker fangen gern bei Null an. Mit Null und Eins, sind die auch schon im Prinzip bei Zwei.) Ich meine, dass beim Zählen auch schon das Rechnen mit dabei ist. Es wird immer Eins hinzuaddiert.
Das erste Wort, die erste Zahl? Das ist auch eine Frage nach dem ersten Menschen. Adam und Eva (hier: wiederum zwei)? Oder: Adam oder Eva?
Wie Kraus das Thema anschneidet, das wirkt sehr, sehr feinsinnig beobachtend auf mich. Zuerst die Fiktion, so weit und dann so ganz genau in die Vergangenheit zurückblicken zu können, das erscheint einem vielleicht zunächst nur wie eine bloße Fantasie-Spielerei, eben wie eine Erdichtung. Und dann. Dann wird dir vor Augen gebracht, dass wir dieses Wunder des Sprechen-Könnens und -Erlernens in unserer aller "Alltäglichkeit" ja immer wieder vorfinden.
Und welches mum das erste bzw. älteste Wort seiner Meinung nach ist oder sei, das sagt Karl Kraus uns aber auch nicht. Nicht einmal, dass er verschiedene Kandidaten dafür vorschlägt und versucht irgendwelche Abwägungen dafür oder dagegen anzustellen. Nur in diesen drei kurzen Zeilen verlautbart er sich uns zu diesem Thema.
Nun frage ich meinerseits dich oder mich: Was ist das erste Vieleck? Wäre eventuell der Punkt das Eineck? Das Liniensegment der Länge 2 mal 1 , das Einheitszweieck? Vom gesunden Menschenverstand möchte man eher meinen, solche "degenerierten" Vorstellungen entsprechen nicht unserer Idee vom Vieleck. Das fängt doch eigentlich erst erst mit dem Dreieck an.
![[asy]
draw("\bf Zweieck",polygon(2),SW,blue);
draw("\bf Dreieck",polygon(3),5*dir(30+90),green);
dot(origin,yellow+.5orange);
draw(scale(1)*polygon(1),cyan);
shipout(bbox(2mm,Fill(orange)));
[/asy]](http://latex.artofproblemsolving.com/a/0/1/a010190dcb6f711f44721a8917b1d36c77210dbe.png)
Und von Dreiecken haben wir beim Buchstaben M zwei. Das M, das ist im Geschriebenen ein doppelgipfeliges Gebilde.
Drehst du das M um, dann bist du beim W. Mit W fängt das Wort an, auch die Welt. Im Deutschen legen wir die oberen Schneidezähne auf die eingezogene Unterlippe. Und modulieren nun so die austretende Luft mit Vibration der Stimmbänder. Weicher erklingt es im Englischen W von "word". Das französische « mot » ist seinerseits beim M geblieben.
So erträumen wir. Wir gehen noch hinter das älteste Wort zurück und beleuchten es uns von da in unsere Gegenwart hinein. Wir bekommen nur diesen Schatten, das Schemenhafte, den Umriss. Und darauf können wir versuchen, uns unseren Reim zu machen. Diesen langen Schatten über einen so weiten Zeitraum von so etwas ganz, ganz Kleinem, Winzigem, eben Zwergenhaftem wie es das erste Wort ist, ob wir es schaffen können, uns diesen dunklen Schatten wenigstens etwas zu erhellen?
Man befrage jedenfalls die Mütter. Was die dazu zu sagen haben. Frauen haben schon eine ganz besondere Beziehung zur Sprache. Oft sind sie redseliger.
Literatur:
Karl Kraus. Auch Zwege werfen lange Schatten. Sprüche und Widersprüche - Aphorismen -. S. Marix Verlag - 2. Auflage 2016 Wiesbaden.
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